Gegen Sebastian Kurz läuft ein Ermittlungsverfahren - wie kam es dazu?
Bundeskanzler Kurz war im Ibiza-Untersuchungsausschuss als Auskunftsperson geladen und wurde unter anderem zur Besetzung des Alleinvorstands der ÖBAG befragt. Was er da gesagt hat, stimmt nicht mit Nachrichten überein, die auf diversen beschlagnahmten Handys gefunden wurden, daher hat die WKStA, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, Ermittlungen wegen Falscher Beweisaussage gem § 288 StGB gegen ihn eingeleitet. Dieses Verfahren läuft momentan.
Was bedeutet "Falsche Beweisaussage"?
Als Zeuge muss man vor Gericht, vor der Staatsanwaltschaft oder vor der Polizei die Wahrheit sagen. Auch als Auskunftsperson vor einem Untersuchungsausschuss hat man die Pflicht, wahrheitsgemäß
und vollständig auszusagen.
Wer dagegen verstößt kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren rechnen.
Diese Wahrheitspflicht gilt allerdings nicht für Beschuldigte oder Angeklagte. Da niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten, darf man als Beschuldigte*r oder Angeklagte*r lügen, in diesem Fall kann man nicht wegen Falschaussage belangt werden. Es sei denn, man wurde vereidigt, dann wiederum schon - es handelt sich dann um Meineid.
Was ist ein Untersuchungsausschuss?
Ein Untersuchungsausschuss ist ein Instrument des Nationalrats zur Kontrolle der Regierung, das ist nämlich neben der Gesetzgebung die zweite wichtige Aufgabe des Nationalrats. Um bestimmte konkrete Machenschaften der Regierung genau überpfüfen zu können, kann der Nationalrat einen U-Ausschuss beschließen.
Worum geht's im aktuellen U-Ausschuss?
Im aktuellen U-Ausschuss, in dem auch Sebastian Kurz befragt wurde, wird untersucht, ob die türkis-blaue Regierung käuflich war. Anlass dafür war das Ibiza-Video, darin zu sehen waren der damalige Vizekanzler Strache und der ehemalige Klubobmann der FPÖ, Gudenus, wie sie über Spenden und illegale Parteifinanzierung sprachen und über den Kauf bestimmter Medien fantasierten. Darum spricht man von diesem U-Ausschuss auch als Ibiza-U-Ausschuss.
Die Fragen an Kurz drehten sich unter anderem um die Besetzung des Vorstands und Aufsichtsrats der ÖBAG.
Was ist die ÖBAG?
Die ÖBAG ist die Österreichische Beteiligungs-AG. Die Österreichische Beteiligungs-AG ist eine Gesellschaft, die die Beteiligungen der Republik Österreich an großen Unternehmen verwaltet. Also der Staat hat Anteile an Unternehmen wie zB OMV, Österreichische Post, A1 Telekom Austria, Verbund und Casinos Austria, diese Unternehmensanteile verwaltet die ÖBAG. Insgesamt handelt es sich dabei um Werte von über 26 Milliarden Euro.
2019 wurde Thomas Schmid Alleinvorstand, es besteht der Verdacht des Postenschachers, also dass er und auch die Aufsichtsräte auf ihre Posten geschoben wurden. Kurz wurde zu diesen Besetzungen gefragt, und hat gesagt, dass er zwar informiert, aber darüber hinaus nicht weiter eingebunden war.
Was fand man auf den beschlagnahmten Handys?
Es konnten umfassende Chatverläufe und Kalendereinträge wiederhergestellt werden. Darin sieht man, dass Kurz nicht nur informiert war, sondern sehr wohl Vorschläge gemacht und Entscheidungen getroffen hat. Aus diesen Nachrichten geht hervor, dass Schmid schon an der Umstrukturierung der ÖBAG mitgearbeitet hat, seine spätere Stellenbeschreibung selber verfasst hat und auch bei den Aufsichtsräten mitgesprochen hat, die ihn dann später zum Vorstand machen sollten.
Laut Staatsanwaltschaft hat Kurz selber Schmid nominiert. Es gibt auch mehrer Nachrichten von Schmid an Kurz, in denen er sich für alles bedankt, worauf Kurz geantwortet hat „du kriegst eh alles was du willst“. Das, was er gesagt hat, stimmt also nicht mit dem überein, was man in den Nachrichten von ihm und an ihn lesen kann.
Der Falter hat den Einleitungsbeschluss der WKStA veröffentlicht, dieses könnt ihr hier aufrufen. Darin könnt ihr die Vorwürfe im Detail nachlesen, und auch die Fragen im U-Ausschuss, die Antworten von Kurz und später die Nachrichten von den Handys und eine Analyse seiner Aussagen.
Was sagt Bundeskanzler Kurz dazu?
Kurz bestreitet alle Vorwürfe. Er sagt, er hat „definitiv nicht vorsätzlich etwas Unwahres gesagt“.
Vorsatz?
Vorsatz ist nicht das selbe wie Absicht. Vorsatz beginnt dort, wo jemand es ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet, einen Tatbestand zu verwirklichen. Das nennt man Eventualvorsatz oder bedingten Vorsatz, und das ist die unterste Grenze des Vorsatzes. Das reicht für die meisten Delikte, auch für die falsche Beweisaussage. Der Täter muss wissen, dass etwas passieren kann, und das in Kauf nehmen.
Absicht dagegen ist es, wenn der Täter weiß, dass etwas passieren kann und es darauf anlegt, er will den Tatbestand verwirklichen. Das ist die höchste Form von Vorsatz.
Fahrlässigkeit liegt vor, wenn man zwar weiß, dass etwas passieren könnte, aber darauf vertraut, dass nichts passiert. Das ist kein Vorsatz. Der fahrlässige Täter denkt "es wird schon nichts passieren", während es dem vorsätzlichen Täter egal ist, ob etwas passiert, er nimmt es in Kauf.
Beispiel: Wenn jemand viel zu schnell mit dem Auto fähr und er denkt, es wird schon nix passieren weil er eh rechtzeitig ausweichen kann, dann handelt er fahrlässig. Wenn es dem Fahrer aber einfach egal ist, ob er jemanden niederfährt, er also in Kauf nimmt dass etwas passiert, handelt er vorsätzlich.
Für Kurz bedeutet das: wenn er eine falsche Aussage, und darunter kann auch Verschweigen von relevanten Tatsachen fallen, ernstlich für möglich hielt und sich damit abgefunden hat, reicht das für eine vorsätzliche Tat.
Wie geht es jetzt weiter?
Wenn beim Ermittlungsverfahren herauskommt, dass eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch, kommt es zur Anklage. Viele Experten sind sich sicher, dass das passieren wird.
Mit dem Ibiza-U-Ausschuss wird es nach jetzigem Stand nicht weitergehen. Ein U-Ausschuss läuft normalerweise 14 Monate, kann aber verlängert werden. Die Grünen weigern sich aber, gegen die ÖVP zu stimmen und darum wird das wahrscheinlich nicht der Fall sein.
Kann ein Bundeskanzler überhaupt angeklagt werden? Was ist mit Immunität?
Immunität genießen nur Abgeordnete und der Bundespräsident, nicht aber der Bundeskanzler. Daher kann Kurz, wie jede*r andere auch, strafrechtlich verfolgt werden.
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